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A. Gerichtliche Entscheidung

BAG (Neunter Senat), Urteil vom 19.03.2019 – 9 AZR 495/17

vorgehend:

LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 07.07.2017 – 9 Sa 10/17
ArbG Freiburg, Urteil vom 08.02.2017 – 6 Ca 341/16

B. Leit-/Orientierungssätze

Leitsätze:

  1. Urlaub, der nach § 17 I 1 BEEG für jeden vollen Kalendermonat der Elternzeit um ein Zwölftel gekürzt werden kann, verfällt während der Elternzeit nicht gemäß § 7 III BUrlG mit Ablauf des Urlaubsjahres oder des Übertragungszeitraums.
  2. Die Kürzung des Urlaubs nach § 17 I 1 BEEG führt zu einer Anpassung der Urlaubsdauer an die während der Elternzeit ausgesetzte Arbeitspflicht. Sie ist damit Ausdruck des im gesamten Urlaubsrecht anwendbaren allgemeinen Rechtsgedankens, dass der Umfang des Erholungsurlaubs während des Urlaubsjahres zur bestehenden Arbeitspflicht ins Verhältnis zu setzen ist. Bei diesem Verständnis steht § 17 I 1 BEEG im Einklang mit dem Unionsrecht.
  3. Der Arbeitgeber kann das Kürzungsrecht nach § 17 I 1 BEEG nur im bestehenden Arbeitsverhältnis durch Abgabe einer (empfangsbedürftigen) rechtsgeschäftlichen Erklärung ausüben. Er kann den Urlaub vor, während und nach dem Ende der Elternzeit kürzen, nicht jedoch vor der Erklärung des Arbeitnehmers, Elternzeit in Anspruch zu nehmen.

Orientierungssätze:

  1. Urlaub, der nach § 17 I 1 BEEG für jeden vollen Kalendermonat der Elternzeit um ein Zwölftel gekürzt werden kann, unterliegt während der Elternzeit nicht dem Fristenregime des § 7 III BUrlG. Die gesetzlichen Sonderregelungen in § 17 I 1 und II BEEG gehen § 7 III BurlG insoweit vor
  2. Die Kürzungsregelung des § 17 I 1 BEEG verstößt weder gegen Art. 7 I der RL 2003/88/EG noch gegen § 5 Nr. 2 der überarbeiteten Rahmenvereinbarung. Sie verwirklicht den im gesamten Urlaubsrecht anwendbaren allgemeinen Rechtsgedanken, dass der Umfang des Erholungsurlaubs während des Urlaubsjahres zur bestehenden Arbeitspflicht ins Verhältnis zu setzen ist, indem die Urlaubsdauer im Wege der Kürzung an die während der Elternzeit ausgesetzte Arbeitspflicht angepasst wird
  3. Diese Anpassung tritt weder automatisch noch durch einen Realakt des Arbeitgebers ein. Sie erfordert die Abgabe einer (empfangsbedürftigen) rechtsgeschäftlichen Erklärung. Die Ausübung des Kürzungsrechts nach § 17 I 1 BEEG unterliegt zeitlichen Schranken. Sie kann weder vor der Erklärung des Arbeitnehmers, Elternzeit in Anspruch zu nehmen, noch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses erfolgen.

C. Sachverhalt

Die Klägerin fordert von der Beklagten Urlaubsabgeltung für die Jahre 2011 bis 2015. Sie war ab 01.04.2005 bei der Beklagten beschäftigt. Zuletzt standen ihr 30 Arbeitstage Urlaub zu. Im Anschluss an die Geburt ihrer Tochter am 28.08.2010 nahm die Klägerin vom 24.10.2010 bis 23.11.2013 eine erste Elternzeit sowie wegen der Geburt ihres Sohnes am 15.05.2013 eine zweite Elternzeit vom 15.05.2013 bis 14.05.2016 in Anspruch. In den Entgeltabrechnungen für die Monate ab Juli 2010 bezifferte die Beklagte den Urlaubsanspruch der Klägerin für 2010 auf 22 Urlaubstage. Für die nachfolgenden Jahre wiesen die Entgeltabrechnungen stets einen Urlaubsanspruch von „0,00 Tagen“ aus. Die Klägerin kündigte das Arbeitsverhältnis zum Ende der Elternzeit am 14.05.2016. Mit ihrer Klage machte sie zunächst Urlaubsabgeltung für die Jahre 2014, 2015, 2016 (30, 30 und 10 Tage = 6.517,70 EUR brutto) und später im Wege der Klageerweiterung auch für die Jahre 2011 bis 2013 (30, 30 und 30 Tage = 8.379,90 EUR brutto) geltend. Das ArbG sprach der Klägerin zur Abgeltung des Teilurlaubs einen Teilbetrag von 931,10 EUR brutto nebst Zinsen zu. Das LAG wies die Berufung der Klägerin und die Anschlussberufung der Beklagten zurück.

D. Entscheidungsgründe

I. Rechtliche Grundaussagen

1. Urlaubsansprüche auch während Elternzeit

Während der Elternzeit, die zu einer Suspendierung der Hauptleistungspflichten des Arbeitsverhältnisses führt, entstehen nach §§ 1, 3 I, 4 BUrlG Urlaubsansprüche, BAG 19.05.2015 – 9 ZR 725/13, NZA 2015, 989. Dies ergibt sich aus § 17 I 1 BEEG, denn nur ein entstandener Urlaubsanspruch kann gekürzt werden, BAG 17.05.2011 – 9 AZR 197/10, AP § 17 BEEG Nr. 1, Rn. 24.

2. Abgeltung Urlaub bei Ende des Arbeitsverhältnisses

Endet das Arbeitsverhältnis während der Elternzeit oder wird es im Anschluss an die Elternzeit nicht fortgesetzt, so hat der Arbeitgeber gemäß § 17 III BEEG den noch nicht gewährten Urlaub abzugelten. Dies entspricht der Bestimmung in § 7 IV BUrlG, der zufolge der Urlaub abzugelten ist, wenn er wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses ganz oder teilweise nicht mehr gewährt werden kann.

II. Fristenregime des § 7 III BUrlG findet während Elternzeit keine Anwendung

Der Neunte Senat des Bundesarbeitsgerichts stellt klar, entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts finde das Fristenregime des § 7 III BUrlG während der Elternzeit keine Anwendung. Die gesetzlichen Sonderregelungen in § 17 I 1 und II BEEG gingen § 7 III BUrlG vor. Dies ergebe die Auslegung des § 17 BEEG. Habe der Arbeitnehmer den ihm zustehenden Urlaub vor dem Beginn der Elternzeit nicht oder nicht vollständig erhalten, habe der Arbeitgeber gemäß § 17 II BEEG den Resturlaub nach der Elternzeit im laufenden oder im nächsten Urlaubsjahr zu gewähren. Die Vorschrift regele eine Ausnahme von dem Grundsatz, dass der Erholungsurlaub im laufenden Kalenderjahr gewährt und genommen werden müsse. § 17 II BEEG treffe bezüglich der Erfüllung und des Verfalls des Urlaubs eine eigenständige, von § 7 III BUrlG abweichende Regelung des Urlaubsjahres. Nach § 17 I 1 BEEG könne der Arbeitgeber den Erholungsurlaub, der dem Arbeitnehmer für das Urlaubsjahr zustehe, für jeden vollen Kalendermonat der Elternzeit um ein Zwölftel kürzen. Die Vorschrift entkoppele den grundsätzlich der Kürzung unterliegenden Urlaubsanspruch vom Urlaubsjahr und nehme ihn somit von einem Verfall nach § 7 III BUrlG während der Elternzeit aus.

III. Vereinbarkeit von § 17 I 1 BEEG mit Unionsrecht

Die Ausführungen des Neunten Senats zur Konformität des Kürzungsrechts nach § 17 BEEG mit Unionsrecht nehmen breiten Raum im Urteil ein. Einmal mehr zeigt sich, dass das deutsche Urlaubsrecht (BUrlG) der Harmonisierung mit dem vorrangigen EU-Recht bedarf und es maßgeblich durch die Rechtsprechung des EuGH und des ihm zur Gefolgschaft verpflichteten Bundesarbeitsgericht bestimmt wird. Der Leitsatz „Ein Blick ins Gesetz schafft Klarheit.“ hat im Urlaubsrecht deshalb nur noch sehr eingeschränkte Bedeutung
Insoweit steht die Entscheidung vom 19.03.2019 in einer Reihe mit der grundlegenden Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 19.02.2019 – 9 AZR 541/15, NZA 2019, 982, die auf die EuGH-Rechtsprechung vom 06.11.2018 – C-684/16, NZA 2018, 1474 „Max Planck/Tetsuji Shimizu“ zur Pflicht des Arbeitgebers zur Urlaubsgewährung aufbaut und diese umsetzt. Durch die vorgenannten Urteile ist der automatische Verfall von Urlaubsansprüchen passé, was viele Arbeitgeber noch nicht realisiert und entsprechend in ihren HR-Abläufen auch noch nicht abgebildet haben.

E. Fazit und Beratungsempfehlung

Das Bundesarbeitsgericht bejaht im Anschluss an die „Dicu“-Entscheidung des EuGH vom 04.10.2018 – C-12/17, NJW 2019, 825, die Unionsrechtskonformität von § 17 I 1 BEEG. Zugleich klärt der Neunte Senat für die Praxis wichtige Fragen der Ausübung des einseitig, empfangsbedürftigen Kürzungsrechts durch den Arbeitgeber.
Bereits mit seiner Entscheidung vom 19.05.2015 – 9 AZR 725/13, NZA 2015, 989, hat das Bundesarbeitsgericht unter Aufgabe seiner früheren Rechtsprechung festgestellt, dass die Kürzungserklärung nach § 17 I 1 BEEG voraussetzt, dass der Anspruch auf Erholungsurlaub noch bestehe. Daran fehle es, wenn das Arbeitsverhältnis beendet sei und der Arbeitnehmer Anspruch auf Urlaubsabgeltung habe.

Arbeitgebern ist anzuraten die Vorgaben des BAG zur Kürzung von Urlaubsansprüchen während der Elternzeit dadurch zu erfüllen, dass sie die erforderliche empfangsbedürftige Kürzungserklärung (Dokumentation!!) immer im Zuge der Bestätigung der Inanspruchnahme von Elternzeit gegenüber dem Arbeitnehmer aussprechen. Dies deckt sowohl Fälle einer Verlängerung der Elternzeit als auch der Inanspruchnahme einer neuen Elternzeit während vorangegangener Elternzeit ab und schafft für den Arbeitgeber größtmögliche Sicherheit.

Kategorie: Unionsrecht, Elternzeit, Kürzung des Urlaubsanspruchs, Kürzungserklärung, Erholungsurlaub, Verfall Urlaub, Urlaubsabgeltung

Weiterführende Hinweise: Dr. Kirstin Maaß, "Urlaubsrecht: Aktuelle Hinweise für die anwaltliche Mandatspraxis", ZAP 2019 Nr. 8, Seite 399 – 406 – Klicken Sie hier!

Autor: Dr. Joachim Holthausen

Veröffentlicht: 28.08.2019

Letzte Änderung: 28.08.2019